In der Gestaltung von Lebensraum und der Schaffung von Lebensqualität versteht sich SWIETELSKY als enger Partner der Architektinnen und Architekten. Gerade wenn es um elementare Zukunftsthemen wie Städtebau und urbane Mobilität geht, lohnt sich ein Blick auf ihre Perspektiven. Wir haben vier renommierte Architektinnen und Architekten um ihre persönlichen Sichtweisen und Einschätzungen gebeten.
Wie sieht die Stadt aus, in der wir leben wollen?
Isa Stein:
Der städtische Raum ist eine Visualisierung der menschlichen Beziehungen. Das Gebäude, die Wohnung ist die zweite Haut des Menschen. Der architektonische Raum beeinflusst uns Menschen und gleichzeitig kreieren wir ihn auch mit. Ein gesellschaftliches Zusammenleben kann nur mit dem Prinzip des Gebens und Nehmens funktionieren. Genauso ist es simplifiziert mit dem städtischen Umfeld. Wir unterteilen Städte in private, halböffentliche und öffentliche Räume. Für den privaten Raum ist man selbst zuständig, für den halböffentlichen Bereich sind wir alle zuständig. Das sind zum Beispiel Hauseingänge, Stiegenhäuser, Begegnungszonen in Wohnanlagen. Der sorgsame Umgang ist wichtig, damit das Zusammenspiel funktioniert. Entgegen den momentanen Entwicklungen müssen wir nach Interaktionen und Begegnungen streben. Der lebenswerte Raum braucht Interaktion, Kommunikation und gegenseitige Wertschätzung. Die Anonymisierung fördert Kriminalität oder führt uns zu einem Überwachungsstaat mit unzähligen Kameras im Straßenraum – dann beginnt eine Neuinterpretation des Biedermeiers.
Manfred Güldner:
In Zukunft wird unser Leben nicht nur in der Stadt, sondern generell sehr stark davon abhängen, wie wir Freizeit und Arbeit miteinander kombinieren können. Wie man jetzt schon bei der Jugend sieht, Work-Life-Balance wird immer wichtiger und daher wird man sich auch in der Architektur nach Möglichkeit darauf einstellen müssen. Nicht nur im verbauten Gebiet in der Großstadt. Ein wichtiger Aspekt dabei wird immer sein, wenn man die Verknüpfung von Arbeit und Leben will, dass sich durch den Verkehr eine gewisse Beschränkung ergibt. Dieser sollte auf alle Fälle eingeschränkt werden, damit kurze oder gar keine Wege entstehen. Dadurch wird die Architektur auch grüner werden und die Lebensqualität für einen Großteil der Stadt besser.
Günter Pichler:
Städte werden unser zukünftiger Lebensraum sein, so viel ist sicher. Die Mehrheit der Menschen lebt schon in städtischen Agglomerationen, 2050 werden es nach Schätzungen siebzig Prozent und mehr sein. Daher wird für wirtschaftlich erfolgreiche und sozial stabile Städte der Faktor Lebensqualität extrem wichtig. Lebenswerte Städte definieren sich nicht mehr nur über eine effiziente Bau- und Infrastruktur, sondern sie bieten Arbeiten und Wohnen, Freizeit und Erholung in einem. Städtische Ressourcen gemeinschaftlich zu nutzen, statt zu besitzen, beeinflusst neue Haustypologien und Nutzungskonzepte. Privatsphäre und Gemeinschaftsleben sind in der Stadt von morgen kein Entweder-oder, sondern individuell und tagtäglich durch ihre Bewohner/ innen neu gestaltbar. Die zukünftige Stadtarchitektur wird trotz hoher sozialer Dichte ein gesundes, urbanes Leben voller Lebensqualität ermöglichen.
Gerhard Kratochwil:
Die Stadt läuft aus dem Ruder, nicht nur im Verbrauch, auch im Maßstab: höher, glatter, anonymer. Höhe statt Ensemble, spektakuläre Architektur als Grundlage für maximalen Gewinn, überzogene Bauplatzausnutzung statt Lebensqualität, begrünte Garagendächer statt Platz für einen geerdeten Baum. Die Lebensqualität beginnt in der kleinsten Zelle der Gesellschaft, Platz für die Familie, für Kommunikation im Inneren und im öffentlichen Raum. Das Umfeld im Maßstab und zu Fuß erreichbar, Platz für Jung und Alt ohne Barrieren und Gegensätze, offene Erdgeschoßzonen zur Begegnung, zurück zur Lesbarkeit der Stadt, der Straße, der Fassade, meiner Bleibe, meiner Identität. Die Stadt lebt vom Angebot, im Kleinen wie auch im Großen, mein Geschäft, meine Straße, meine grüne Lunge, WALULISO als Vorbild.
Wie bleibt Wohnen in der Großstadt möglich – was tun gegen die voranschreitende Gentrifizierung?
Isa Stein:
Der städtische Raum an sich – und im weitesten Sinn die Stadt – gehört uns allen. Mit diesem Ansatz müsste alles geregelt sein und ist es natürlich nicht. Zumindest die europäischen Stadtverwaltungen versuchen die Diversität der Stadt mit Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen zu unterstützen. Weiters tragen viele Städte und Regierungen mit eigenen Wohnbauprogrammen bei, um die Durchmischung in den Städten aufrechtzuerhalten. Leider sind klare Festlegungen und gezielte Stadtentwicklungspolitik notwendig. Die soziale Durchmischung ist die Grundlage für das Funktionieren unserer Städte. Ghettobildung ist höchst problematisch. Wir alle kennen die Bilder von Paris, außerhalb der Peripherie im Norden, hier gibt es Stadtteile, in die nicht einmal die Polizei fahren möchte. Soziologisch sind diese Entwicklungen begründbar. Die dortigen Bewohner/innen haben keine Ziele, keine Bildung, keine Jobs, keine Zukunftsaussichten. Die Stadt ist Ausdruck unserer gesellschaftspolitischen Entwicklung. Das Augenmerk ist auf das Zusammenleben der Menschen zu legen. Kapitalisierung und Gewinnmaximierung von verschiedenen Vierteln ist kurzfristig gedacht. Auch die gesellschaftliche Monokultur von Stadtvierteln im Hochpreissegment kann ein Viertel langfristig unattraktiv machen. In der gröbsten Ausformulierung zeigt uns das zum Beispiel Los Angeles. Hier sind die Viertel der Reichen eingezäunt und man muss sich am Tor ausweisen. Respektvolles Zusammenleben, Schätzen des gemeinsamen Stadtraumes kann unsere Gesellschaft zukünftig weiterbringen.
Manfred Güldner:
Im Hinblick auf zunehmende Bodenversiegelung und Klimaschutz wird es für Architektinnen und Architekten immer interessanter und notwendiger werden, mehr Sanierungsprojekte statt Neubau in Angriff zu nehmen. Wo wir Architektinnen und Architekten vielleicht Einfluss haben könnten und auch die Gesellschaft, vor allem aber die Politiker/innen darauf achten müssen, dieser Anonymität zu entkommen, die in diesen großen Wohnanlagen entsteht. Schön wäre es, wenn wir wie in Kleinstädten oder am Land Nachbarschaften entwickeln könnten. Das wird nur funktionieren, wenn Arbeit und Leben verknüpft werden können. Wenn Kleinbetriebe, Handwerker/innen und Greißler/innen in die neuen Wohnanlagen integriert sind, damit nicht jede/r zum Großmarkt an den Stadtrand fahren muss. Damit würde man eine ganz andere Klientel ansprechen und vor allem nicht jene, die nur in eine Wohnung investieren wollen und kein Interesse haben, darin zu wohnen.
Günter Pichler:
Leistbares Wohnen muss auch in der Stadt von morgen ein Grundrecht bleiben. Auch bei dieser Frage ist der Hebel die Durchmischung von Generationen, Gesellschaft und Kulturen statt Gentrifizierung. Bereits gebauten Wohnraum mit vorhandener Infrastruktur zu sanieren ist effizienter als Neubau auf der grünen Wiese. Neue Wohnformen wie etwa bei Baugruppen müssen verstärkt von Kommunen gefördert werden, bestehende Normen, die Planen und Bauen unnötig verteuern, gehören reformiert. Normwohngrößen und festgeschriebene Raumnutzungen sind zu hinterfragen und flexibel neu zu denken. Die Küche wird in modernen Wohnungen auch als Homeoffice, Kinderspielraum und für die Bewirtung von Gästen verwendet.
Gerhard Kratochwil:
Nicht das ökologische Projekt gewinnt heute den Wettbewerb, sondern jenes mit dem höchstmöglichen Gewinn. Die Projekte müssen aus dem Keller, Volumen in der Erde zu verbauen ist innerstädtisch komplex und teuer. Weniger ist mehr, auch in der Flächenausnutzung und in der Höhe, überschaubare und noch lesbare Fassaden. Neu und Alt ergänzen einander, ohne dass der Maßstab verändert wird. Die Identität des Stadtteils muss leben, mit Stärken und Schwächen. Öffentliches Geld steuert in allen Stadtteilen gegen die Unfinanzierbarkeit. Das rote Wien der Dreißigerjahre zeigt uns gute Beispiele, im Großen und im Kleinmaßstäblichen.
Mobilität, Begegnungszonen und Plätze zum Verweilen – welche Beiträge kann Architektur leisten?
Isa Stein:
Die Gesellschaft und somit auch das architektonische Umfeld ist in einem ständigen Wandel und es muss insbesondere auf die Stadtentwicklung Rücksicht genommen werden. Für ein gesellschaftliches Zusammenspiel sind vor allem der öffentliche und halböffentliche Bereich wichtig. Der öffentliche Bereich beinhaltet nicht nur das Straßen- und Fußgängernetz, sondern unsere Parks, Begegnungszonen, Fußgängerzonen, Landschaften und anderes. Wenn man sich den städtischen Bereich als Organismus vorstellt, sind alle diese Flächen weiterzuentwickeln und über die Jahre neu zu definieren. Das passiert mitunter durch eine veränderte Mobilität und auch durch andere Ansprüche an den Menschen in der Stadt. Insbesondere durch die virtuelle Welt werden öffentliche Bereiche immer wichtiger. Bei Planung von Stadtvierteln sind diese Teil des Entwurfs. Eine Planung beschränkt sich nicht auf die gebaute Umwelt, diese ist vielmehr ein Teil des bearbeiteten Feldes. Der „plane/öffentliche“ Raum muss insbesondere hinsichtlich der Verkehrsströme und Geschwindigkeiten untersucht werden, um die gebaute Architektur besser zu implementieren. Wie bleibt Wohnen in der Großstadt möglich – was tun gegen die voranschreitende Gentrifizierung? Mobilität, Begegnungszonen und Plätze zum Verweilen – welche Beiträge kann Architektur leisten? „Kapitalisierung und Gewinnmaximierung von verschiedenen Vierteln ist kurzfristig gedacht.“ Isa Stein 13 Die Swietelskys 07-2023 12 Die Swietelskys 07-2023 Dies ist insofern wichtig, als auch das Auto in seiner ursprünglichen Funktion einen Wandel durchmachen wird. Der öffentliche Verkehr wird gestärkt und das Auto als Erweiterung des privaten Raumes wird ein neuer halböffentlicher Bereich mit Carsharing werden.
Manfred Güldner:
Hier spielen meine Antworten zu den beiden ersten Fragen ineinander.
Günter Pichler:
Städtische Erholungsräume und Bepflanzung mögen zwar individuellen Stress abbauen, den sozialen Stress in den dicht bebauten Gebieten aber nicht. Wichtigstes Planungskriterium ist die Form der urbanen Dichte. Stadträume, die so geplant sind, dass sie sowohl soziale Interaktion als auch privaten Rückzug erlauben, werden zur Benchmark der gesunden Stadt von morgen. Neue Stadtlandschaften ermöglichen die Verbindung von Arbeit und Freizeit gleichzeitig. Urban Gardening kreiert neue Oasen der Ruhe auf ehemaligen Brachflächen und Dächern. Explodierende Treibstoffpreise, Citymaut und Parkraumbewirtschaftung verdrängen das Automobil aus der Stadt und schaffen Freiflächen für „Fahrrad-Autobahnen“. Der fußläufige und radfreundliche Stadtraum prägt das Stadtdesign von morgen.
Gerhard Kratochwil:
Drei spannende Begriffe. Im großen Maßstab geben die Landschaftsplaner/innen gemeinsam mit den Verkehrsplanerinnen und -planern die Entwicklungsstruktur vor, die Stadtplaner/innen verdichten im städtischen Bereich, die Architektinnen und Architekten gestalten den Raum. Theorie und Praxis gehen hier jedoch weit auseinander. Landschafts- und Verkehrsplaner/innen scheitern an der Bürgerinitiative, die Stadtplaner/ innen an den Eigentumsverhältnissen, die Architektinnen und Architekten an den wirtschaftlichen Vorgaben und Zwängen der zu entwickelnden Liegenschaft. Im kleinen Maßstab reduziert die Bewegungszone die Geschwindigkeit der Mobilität auf den Platz zum Verweilen. Die Mobilität fordert die rasche Bewegung, in der Bewegungszone dominiert die Geschwindigkeit der Gesellschaft, am Platz dominiert die Kommunikation. Die Architektinnen und Architekten haben die Aufgabe, den Raum für die Begriffe angepasst zu gestalten.
Klima und globale Erwärmung – wie kann man die Städte kühlen?
Isa Stein:
Die Klimaanlage ist der Tod jeder Stadt und zeigt die Entwicklung einer selbstzentrierten Gesellschaft. Durch die Kühlung der Häuser und den Ausstoß des Wärmetausches wird der Stadtraum humid. Die Luftfeuchtigkeit steigt. Wenn man hier wieder in das Prinzip des Organismus zurückgeht, dann muss man die Grünräume in der Stadt, Bäume im Straßenraum und die Ausbildung von Gründächern steigern, versiegelte Flächen reduzieren und die Verwendung von Baustoffen genau hinterfragen. So wird sich generell ein Ziegelbau weniger aufwärmen als ein Betonbau, um nur ein Beispiel zu nennen, ohne tiefer in die Diskussion von „green living“ zu gehen. Das setzt voraus, dass man Verantwortung für ein gesellschaftliches Zusammenwirken und nicht nur die eigene Kosten-Nutzen-Rechnung in den Vordergrund stellt. Bei der Stadtentwicklung ist darauf zu achten, dass die Luft in der Stadt zirkulieren kann, so kann auch einer Überhitzung vorgebeugt werden. Warum ist der oft kritisierte Altbau kühler? Die Raumhöhe ist eine andere, in den alten Grundrissen gibt es Lichthöfe, oft sind zwischen den Häusern Schächte eingebaut, in denen die Luft zirkulieren kann, der Baustoff ist ein anderer. Heizen und Kühlen hat sehr oft mit Luftzirkulation funktioniert. Das Gebäude wurde ganzheitlich gedacht. Wir sind aufgrund der Technologie oft zu kompliziert in der Herangehensweise und lösen Problemstellungen nur punktuell und nicht im Gesamtkontext. Und im weitesten Sinne ist das Haus / die Stadt eine Erhebung in der Landschaft. Nicht nur die Landschaft muss sich in die Stadt eingliedern, sondern auch die Stadt in die Landschaft.
Manfred Güldner:
Man wird von der Bevorzugung des Verkehrs abkommen müssen, wo zurzeit alles zugepflastert wird. Es gibt bereits Ansätze, dass wieder rückgebaut wird. Ohne Begrünung wird man es nicht schaffen. Ich denke, die einzige Möglichkeit ist, einfach Bodenversiegelung rückgängig zu machen, damit Verdunstungsflächen entstehen, Fassadenbegrünungen, alle Dächer zu begrünen und eventuell auch die Verkehrsflächen, wie zum Beispiel die Greenline in New York, wo eine Hochbahn überbaut wurde. Wenn man unbedingt notwendige Verkehrsflächen in der Stadt mit geeignetem Abstand zum Erdgeschoß nochmals überbaut, auf der Oberseite begrünt – das ergibt auch neue grüne Begegnungszonen. Städtebaulich wird man Luftschleusen bei Neubauten planen müssen.
Günter Pichler:
Der fortschreitenden Erhitzung im Stadtraum muss durch Implementieren von neuen Stadtbausteinen und technischen Innovationen entgegengewirkt werden. Gerade hier eröffnen sich neue Marktchancen für die Baubranche. Das zukünftige Vorsehen von Lüftungsschneisen im Stadtentwicklungsplan kann zur Nachtabkühlung beitragen. Horizontale, aber auch vertikale Vegetation spielen eine entscheidende Rolle für das Stadtklima. Kühlende Straßenoberflächen können die Durchschnittstemperatur verringern. In unserer alternden Gesellschaft, die häufig nicht gut auf klimatische Extreme reagieren kann, braucht es rasch intelligente Lösungen.
Gerhard Kratochwil:
Platz der Natur, keine absolute Verdichtung, keine vollständige Unterbauung von Grundstücken, jedem Bauplatz die eigene kleine grüne Zelle mit Natur rundum. Auf dem kleinen Bauplatz der überwachsene Sitzplatz im Freien, die Begrünung bietet Schatten und schafft Platz zur Erholung und Kommunikation. Im weiteren Maßstab die grüne Zunge entlang an einem offenen Gerinne durch den Stadtteil, dichte Bepflanzung statt einer versiegelten Fläche. Begrünte Dächer und schattige Dachgärten statt Rückkühler auf dem Flachdach. Rückkühler zu Kälteanlagen heizen das Mikroklima der Stadt an heißen Tagen noch weiter auf. Begrünte Straßenzüge mit schattigen Erdgeschoßzonen fördern die Durchlüftung der Stadt. Die Stadt muss über Nacht abkühlen.
Technische Entwicklungen ermöglichen neue Formen und neue Höhen. Wie stark wird die Planung davon beeinflusst und wie stark beeinflussen Architektinnen und Architekten die Entwicklung der technischen Möglichkeiten am Bau?
Isa Stein:
Das Bauen wird vorwiegend durch die Industrie und Wirtschaft in seiner technischen Entwicklung vorangetrieben. Die Dimensionen der Gigantomanie entstehen, wie auch in der Geschichte, durch den gewollten Ausdruck von Macht und Größe, oft durch den Kapitalismus getrieben. Die Rolle der Architektin / des Architekten ist über die Jahrhunderte immer wieder im Wandel. Von Universalkünstlerinnen/-künstlern bis hin zu den heutigen Spezialistinnen/Spezialisten. Die Demonstration von Architektur als Skulptur war bahnbrechend durch die Möglichkeiten der organischen Formen im Betonbau, wie zum Beispiel durch Oscar Niemeyer, oder auch die Weiterentwicklung und Neuinterpretation von Hülle und Raum im Dekonstruktivismus am Ende des letzten Jahrhunderts. Dieser Ansatz des Sonderbaus befeuert die Architektur als Ausdruck der Auslotung von Schwerkraft. Insbesondere durch die technischen Möglichkeiten und das virtuelle Planen sind der Entwicklung kaum Grenzen gesetzt. Wir befinden uns jedoch genau deswegen, aufgrund der CAD-Planung im Generellen, in einer neuen Entwicklung der Architektur. Der Sonderbau ist eine Ausprägung, jedoch bekommen Relation und Maßstab eine andere Dimension. Es wird durch die andere Planungsmethodik mittlerweile buchstäblich der virtuelle Raum zu einem realen Raum transformiert. Wir kreieren dreidimensionale Gebäude und Städte in unseren Computern – ohne Menschen. Das Zusammenspiel, dass der Mensch im öffentlichen Raum die Stadt beeinflusst, fällt bei dieser Planungsmethode weg, was neue Herausforderungen birgt.
Manfred Güldner:
Größtenteils haben die Materialien den Vorrang. Es kommt auf die Kreativität der jeweiligen Planerin / des jeweiligen Planers an. Es ist bei jeder Arbeit in dieser Branche wichtig, dass es ein funktionierendes Einvernehmen zwischen Planerinnen/Planern, ausführenden Firmen und der Baustoffindustrie gibt. Der bittere Nachgeschmack dabei ist nur, dass diese Industrie mit ihrem Lobbyismus in die Normierung geht und dort relativ viele Ideen verhindert. Man wird schnell mit Normen konfrontiert und es heißt: „Das geht nicht.“ Damit gehen viele gute Ideen verloren, sehr oft auch aus Kostengründen.
Günter Pichler:
Durch die Vielzahl kreativer Ideen der Architekturschaffenden werden neue Stadt- und Gebäudetypologien entstehen, die auf die sich verändernden Bedürfnisse der Stadtbewohner/innen reagieren. Zukünftige Gebäude sind intelligente Hybride, die urbane Landwirtschaft, Wohnen, Freizeit und Arbeiten in einem Bausystem kombinieren. Diese Systeme werden ein autarkes Versorgungs- und Energiesystem haben und verschiedene Aspekte der gesunden Stadt mit innovativen Technologien kombinieren. Dabei steht aber nicht die technologische Performance im Vordergrund, sondern der Zusatznutzen für die Bewohner/innen.
Gerhard Kratochwil:
Es liegt in der Natur der Technik, Grenzen auszuloten und zu verschieben. Der Wettbewerb bietet das Forum für Visionen und Landmarks, unbegrenzte Mittel und finanzstarke Bauherrinnen/Bauherren realisieren das technisch Machbare und im Ansatz auch das nicht Machbare. Das Spektakuläre steht über dem wirtschaftlichen Erfolg. Die gebaute Vision als Funke für die Entwicklung eines Stadtteils ist seit Langem Realität, finanziert über steigende Renditen. Die Architektin / der Architekt beeinflusst nicht, sie/er gibt vor, entwickelt und sucht die Partnerin / den Partner für die Umsetzung.