Die Gleise unterhalb von Europas Wirtschaftslokomotive werden spröde. Seit mehr als einem Jahrzehnt diskutiert Deutschland den Verfall seiner Infrastruktur: Straßen, Schulen, Schienen, Strom und Internet, vieles liegt im Argen. Was sind die Ursachen und kommt jetzt die große Investitionswelle?
Kühn quert die Autobahnbrücke Rahmede der A45 auf 75 Meter hohen Betonstelzen bei Lüdenscheid den Taleinschnitt. Weit mehr als 60 000 Fahrzeuge verkehren hier täglich, davon 13 000 Lkw. Aber nur bis Anfang Dezember vergangenen Jahres, denn seitdem ist die Brücke aufgrund von Verformungen des Stahlgerüsts gesperrt. Am 7. Jänner 2022 gaben die Behörden dann betreten bekannt, dass nie wieder ein Auto über die 53 Jahre alte Brücke fahren wird: Abbruch wegen starker Korrosion und Rissen im Tragwerk, der Neubau wird mindestens fünf Jahre dauern. Unternehmen und Pendler in der Region sind verzweifelt, die Auswirkungen reichen laut ADAC bis zum Kölner Ring, die nahe gelegene Stadt Lüdenscheid erstickt seitdem im Umleitungsverkehr.
Autobahnen als Rust Belt
Rahmede ist aber nicht die einzige deutsche Autobahnbrücke, die neu gebaut werden muss. Seit 2016 ist die marode A1-Rheinbrücke Leverkusen für Lkw über 3,5 Tonnen gesperrt, ursprünglich sollte der nördliche Teil des Neubaus Ende 2020 für den Verkehr freigegeben werden. Doch die Suche nach Weltkriegsmunition im Rhein und die Kündigung des Vertrages mit Porr führten zu massiven Verzögerungen, Ende 2023 soll es nun so weit sein. „Jede Woche verursacht die Sperrung der Brücke einen volkswirtschaftlichen Schaden von 1,2 Millionen Euro. Auf zehn Jahre hochgerechnet macht das eine halbe Milliarde Euro aus. Das sind die Folgen unserer maroden Infrastruktur“, fasste Raimund Klinkner, der Vorsitzende des Deutschen Verkehrsforums, gegenüber der WELT im September des Vorjahres zusammen. Die drei wichtigsten Herausforderungen für Infrastrukturinvestitionen bestünden in der Finanzierung, der Zeit und der Akzeptanz der Technologie in der Bevölkerung, betonte der frühere Vorstandschef des Automobilzulieferers Knorr - Bremse und verlangte eine fünfstellige Zahl an zusätzlichen Verwaltungsmitarbeitern, um Projekte schneller umsetzen zu können.
Mehr Tempo
Denn nicht nur Autobahnen, die gesamte deutsche Infrastruktur müsse modernisiert werden, sonst werde das Klimaschutzziel verfehlt und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beschädigt, warnt Klinkner. Die Unternehmensberatung McKinsey hat ausgerechnet, dass jährlich 240 Milliarden Euro für Instandhaltung, Ersatz und Transformation der Infrastruktur notwendig wären. Das seien die nötigen Rahmenbedingungen, um das in der Europäischen Union vereinbarte Klimaziel einer Verringerung der Kohlendioxidemissionen um 55 Prozent bis zum Jahr 2030 erreichen zu können. „Dazu müssen wir die Veränderungsgeschwindigkeit verdreifachen. Wir sind in allen Bereichen viel zu langsam“, konstatiert Klinkner. So seien heute von 33 000 Kilometern Schienennetz lediglich 340 Kilometer digitalisiert, also mit einem Zugbeeinflussungssystem ausgerüstet. Oder das Beispiel E-Mobilität: Bis zum Jahr 2030 braucht man laut Klinkner rund eine Million Ladesäulen. Rein rechnerisch wären das 2000 Elektroladesäulen in der Woche. Tatsächlich entstehen derzeit wöchentlich aber nur 300 neue Standorte. Wie soll sich das ausgehen?
Seid verschlungen, Milliarden
Vor einem Jahr hat das Institut der deutschen Wirtschaft errechnet, dass Deutschland etwa 450 Milliarden Euro in die Hand nehmen müsste, um die mittlerweile angelaufenen Infrastrukturdefizite aufzuholen. Deutschland wende mit etwa achtzig Milliarden Euro öffentlicher Investitionen im Jahr nur 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung auf, während Frankreich und Amerika mehr als drei und Japan und Australien knapp fünf Prozent aufbringen. „Von 2005 bis 2015 konnte das Niveau des Kapitalstocks nicht gesichert werden, der Modernitätsgrad ist fortlaufend gesunken“, schreiben Michael Hüther, Ökonom und langjähriger Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, und die IW-Forscherin Galina Kolev. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Seit 2001 ist der öffentliche Infrastrukturkapitalstock zwar um 6,5 Prozent geschrumpft, während die Wirtschaftsleistung im selben Zeitraum um 24 Prozent zugenommen hat. Fehlten 2015 im staatlichen Investitionsbudget noch rund acht Milliarden Euro für dessen Erhalt, dürfte die Erosion des Kapitalstocks mittlerweile fast gestoppt sein.
Ziviler Widerstand
Dabei wäre es unfair, den Schwarzen Peter für Versäumnisse, Verzögerungen, Verfall und Verschwendung in der öffentlichen Infrastruktur alleine der Politik zuzuschieben. Oft wird ihre Entscheidungsschwäche von einer Geisteshaltung mancher Bürger benutzt, die sich mittlerweile international einen Namen gemacht hat: NIMBY – Not In My Backyard. Wie wichtig manche öffentlichen Maßnahmen für die Gesellschaft auch sein mögen, im eigenen Lebensbereich möchte man ungestört bleiben. Nicht selten müssen dazu die seltsamsten Exemplare von Fauna und Flora herhalten, wie zum Beispiel der Schierlings-Wasserfenchel. Diese Sumpfpflanze kennt inzwischen wohl ganz Hamburg, obwohl man sie kaum zu Gesicht bekommt. Doch als in der berühmten Hafenstadt die Elbe vertieft werden sollte, damit auch größere Schiffe den Hamburger Hafen anlaufen können, war der Schutz dieses Gewächses manchen Anrainern so wichtig, dass die Baggerarbeiten erst nach siebzehn Planungsjahren im Sommer 2019 begonnen werden konnten. Wer Gefallen an solchen Fällen öffentlicher Prokrastination und Steuergeldverschwendung findet, wie sie auch vom österreichischen TV-Sender Puls 4 in der Serie „Bist Du deppert“ abgehandelt werden, findet in den diesbezüglichen Schwarzbüchern des deutschen „Bundes der Steuerzahler“ reichen Lesestoff.
Kaputtgespart
Die nun absehbar jahrelange Unterbrechung der stark frequentierten Sauerlandlinie ist der vorläufige Höhepunkt einer seit mehr als zehn Jahren andauernden Debatte um den Zustand der öffentlichen Infrastrukturen in Deutschland. Die Rede ist nicht allein von rund 3000 Stahlbetonbrücken im deutschen Autobahnnetz, die sanierungsbedürftig sein könnten: Auch die deutschen Eisenbahnstrecken, zahllose Schulen, Amtsgebäude, öffentliche Einrichtungen, Strom- und Datenleitungen sind marode, morsch und malade. Das bestätigt sogar ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit dem wenig charmanten Titel: „Öffentliche Infrastruktur in Deutschland: Probleme und Reformbedarf“ aus dem Juni 2020. „In Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten erheblich zu wenig in die öffentliche Infrastruktur investiert worden. Das hat dazu geführt, dass sich die bestehende Infrastruktur deutlich verschlechtert hat, selbst wenn sie im internationalen Vergleich immer noch relativ gut dasteht. In einigen Bereichen, insbesondere beim Ausbau der Strom- und Gasnetze und der digitalen Infrastruktur, sind große Investitionsanstrengungen notwendig, um die Herausforderungen der Energiewende und der digitalen Revolution zu meistern und den Anschluss an andere Industriestaaten nicht zu verlieren“, heißt es da schon im Vorwort.
Wer zahlt, schafft nicht an
Schuld an der Misere ist laut Beiratsexperten übrigens nicht die gerne medial zur Verantwortung gezogene deutsche Schuldenbremse, sondern der politische Prozess, der staatliche Konsumausgaben zulasten von Investitionen begünstige. Der Bund und mehrere Bundesländer hätten ausreichenden Spielraum für zusätzliche Investitionen gehabt, außerdem würden die privat finanzierten Bereiche der Gas- und Stromnetze und der digitalen Infrastruktur gar nicht von der Schuldenbremse tangiert. Während bei Gutachten im Umfeld österreichischer Ministerien gerne die Hofräte Vorsichtl, Hinsichtl und Rücksichtl die Feder führen, nehmen sich deutsche Experten bei ihren Analysen kein Blatt vor den Mund: „Unumstritten ist, dass es vor allem politökonomische Gründe und Fehlanreize in den Governance-Strukturen sind, die ausreichende Investitionen verhindert haben. Darum müssen Reformen vor allem an diesen Problemen ansetzen. Die politökonomischen Gründe weisen auf die mangelnde Langfristorientierung der Politik hin, während die Fehlanreize in den Governance-Strukturen vor allem dann auftreten, wenn die Entscheidung über Finanzierung und Investitionstätigkeit und die damit verbundene Verantwortung auseinanderfallen, so zum Beispiel im Rahmen des föderalen Staats, in dem Bund, Länder und Gemeinden zusammenwirken, oder im Zusammenspiel zwischen Bund und Deutscher Bahn AG.“
Deutschland sackt ab
Wie schwer der volkswirtschaftliche Schaden wiegt, der durch lücken- und/ oder mangelhafte öffentliche Infrastrukturen verursacht wird, ist nicht leicht einzuschätzen. Im Global Competitiveness Report analysieren Experten des World Economic Forums (WEF) jährlich die Wettbewerbsfähigkeit von weltweit 140 Nationen. In der Analyse aus dem Jahr 2018 belegte Deutschland einen sehr soliden dritten Platz, in einigen Wertungsbereichen war unser großer Nachbar sogar Spitzenreiter. Trotzdem zeigte der Bericht Schwächen auf, die Deutschland gerade in Sachen Digitalisierung und digitaler Infrastruktur vor Herausforderungen stellen. 2019 reichte es schon nur mehr für Platz sieben: „Als größte Schwäche sieht die Studie dabei den Stand der Informationstechnologie: Hier fällt Deutschland mit Platz 36 weit hinter die baltischen Staaten, Russland und China zurück. Bei mobilen Breitbandanschlüssen landet es mit Platz 58 noch weiter hinten im Ranking, bei Internetverbindungen über Glasfaserkabel reicht es sogar nur noch für Platz 72“, schrieb das deutsche Wirtschaftsmagazin „Capital“.
Kein Anlass für hämisches Grinsen
Aus heimischer Sicht ist das deutsche Ringen um infrastrukturelle Erneuerung und internationale Wettbewerbsfähigkeit allerdings sicher kein Grund für hämisches Grinsen: Österreich steht im aktuellen Report auf Rang 21, vierzehn Plätze hinter Deutschland, sechzehn Plätze hinter der Schweiz und siebzehn Plätze hinter den Niederlanden. Zu tun gäbe es also diesseits und jenseits der Staatsgrenze viel. Für SWIETELSKY ist das eine gute Nachricht, denn sowohl Österreich als auch Deutschland zählen zu den Kernmärkten des Unternehmens und auf die Herausforderungen, die hüben wie drüben auf Baudienstleister warten, ist man bestens vorbereitet.
SWIETELSKY in Deutschland
Der Konzern erwirtschaftet in Deutschland zwölf Prozent seiner gesamten Bauleistung und ist vom Hochbau über den Tiefbau, den Straßen- und Brückenbau bis hin zu Bahnbau und Tunnelbau in allen Sparten tätig. Die größten Konzerngesellschaften und -beteiligungen im Bundesgebiet sind die Swietelsky Baugesellschaft m.b.H. mit Sitz im bayerischen Traunstein, die WADLE Bauunternehmung GmbH und die Swietelsky-Faber GmbH, Letztere ist spezialisiert auf Kanalsanierung.